Veröffentlicht am Mo., 8. Jun. 2020 13:46 Uhr

„Gott segne dich und er behüte dich…“ – Gedanken zum aaronitischen Segen

Es sind Worte wie ein alter, gemütlicher Mantel. Mit dem kommst Du durch den Sturm, den Platzregen und das Gewitter. Blitz und Donner und die Angst vor ihnen sind da, aber sie bekommen nicht die Überhand.

Es sind vertraute Worte. In fast jedem Gottesdienst werden sie gesprochen: 

Gott segne dich und er behüte dich; Gott lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; Gott erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.                       (Num 6,24–26)

Im biblischen Erzählzusammenhang sagt Gott diese Worte zu Mose, damit er sie weitersagt an Aaron und dessen Söhne und die wiederum sollen sie allen Kindern Israels sagen, damit Gott selbst sie in diesen Worten segnet. Gott und Mensch arbeiten zusammen.

Die Worte des aaronitischen Segens sind in der Wüste zu Hause, denn dort hatten die Kinder Israels ihre Zelte aufgeschlagen. Es war kein Ort zum Bleiben; es war nur eine Durchgangsstation. Ein Unterwegs-Ort. Wüstenzeit. Heißer Sand unter den Füßen und peitschender Wind im Gesicht. Klirrende Kälte des Nachts. Die Sklaventreiber Ägyptens hinter ihnen, das gelobte Land vor ihnen. Es wird noch ein weiter Weg voller Gefahren und Anfechtungen werden.

Zelte aufbauen, Zelte abbrechen, Wanderung. Der Segen ist im Unterwegs beheimatet.

Vielleicht ist „unterwegs sein“ eins der besten Sinnbilder für menschliches Leben überhaupt: Unterwegs ist vorläufig und manchmal mühsam. Unterwegs verändert sich immer wieder die Sicht auf die Welt und das Leben und die Menschen, die mit einem unterwegs sind. Es geht auf und ab. 

Und unterwegs braucht es – und gibt es! – Zeichen von Gottes Nähe. Für Israel in der Wüste ist er da: tagsüber als Wolkensäule und nachts als Feuersäule. Doch beides bleibt ambivalent, denn Gott zeigt sich, bleibt aber zugleich verhüllt und unnahbar. Er ist ganz da und ganz Geheimnis. Das ist wohl ein Markenzeichen Gottes. Und deswegen braucht und gibt es noch mehr als Zeichen. Gott gibt Worte. Segensworte. Worte wie ein bergender Mantel. Und der ist bitter nötig, denn es geht ums Ganze: Gelingen oder Verderben, behütet sein oder ausgeliefert. Der Name Gottes gilt bei den Kindern Israels als unaussprechlich und sie glauben, dass keiner, der sein Gesicht sieht, leben kann. Andererseits ist die Angst, Gott könnte einen Menschen von seinem Angesicht verwerfen (Ps 51), existentiell. Wo Gottes Segen nämlich nicht wirkt, da kommt das Leben nicht zur Blüte, egal wie einer sich auch abrackert. Da gibt es nur Unrast und Hast, da ist kein Friede zu finden weit und breit. Im Segen geht’s um Ganze.

Im Segen legt er seinen Namen auf sie und behütet sie und lässt er sein Angesicht leuchten über ihnen. Sie erleben das ganz handfest: Es gibt genug zu essen in der Wüste. Es werden Kinder geboren. Die Wüste wird zum Lebensort, wenn auch nur vorübergehend.

Gott ist gnädig mit den Kindern Israels. Auf ihren Umwegen und in ihren Sackgassen. Er ist gnädig, nicht weil sie etwas Bestimmtes tun oder nicht tun, sondern weil er eben Gott ist. Im Segen gibt es nichts zu tun. Außer sich seine Gnade gesagt sein lassen. Gesegnet ist das zerbrechliche, das versehrte Leben. Das Unterwegs-Leben.

In diesem Unterwegs-Leben sollen Aaron und seine Söhne Segensworte zu den Kindern Israels sagen. Worte wie ein wohlvertrauter Mantel. Mit ihm kommen sie durch die Wüstenstürme und über den Jordan und sie spüren wohl die Kälte der Nacht und die Hitze des Tages. Aber sie hören „Gott segne dich und er behüte dich…“ und sie wandern weiter. Weiter in Richtung gelobtes Land. Gottes Angesicht geht mit ihnen, leuchtend.

 

Eine, wenn nicht die erste Wegmarke auf dem christlichen Glaubensweg klingt so: Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Dazu plätschert leise das Wasser. Seit meiner Taufe werde ich „Christin“ genannt und der Name Gottes liegt auf mir, einer der vielen wunderbaren Namen Gottes. „Denn“, so schreibt der Apostel Paulus, „ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen.“ (Gal 3,27) Christus ziehe ich mir an – wie einen bergenden Mantel. Auch Christus, der Jude Jesus aus Nazareth, war unterwegs. Wanderprediger. Zelte aufbauen, Zelte abbrechen. Immer wieder. Kein Ort, wo er sein Haupt hätte hinlegen können. Und wenn er sich zurückzog, allein in die Wüste, und den Versuchungen ausgesetzt war, dann hat er ganz sicher die alten Worte in sich gehört: „Gott segne dich und er behüte dich…“ Ich bin auch unterwegs – mit Jesus. Ich hülle mich in seinen Mantel und durch ihn höre ich auch die alten Segensworte aus der Wüste – Worte, in denen ich mich berge. Hineingesprochen auch in mein Unterwegs, in meine Wüsten- und Oasenzeiten. Mein zerbrechliches, versehrtes Leben – gesegnet vom Gott Israels, den ich als den drei-einen kennengelernt habe. Er lässt sein Angesicht leuchten über allen seinen Kindern.

Mir bleibt nur das Staunen.

Über Gottes geheimnisvolle Gegenwart. Über Wolke und Feuer.

Mitten in der Wüste. Unterwegs. Im Staub. In der Hitze, der Kälte, den Stürmen.

Segen für Israel. Segen für Jesus. Segen für dich und für mich.

Was sind wir Menschen eigentlich, dass Gott so an uns handelt? Und was sind wir Menschenkinder, dass er sich unserer annimmt auf unseren Lebenwegen? (Ps 8)

In einem Wort würde ich sagen: Gesegnet!

Pastorin Wibke Winkler

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